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Nils Minkmar „Kein Mutter-Teresa-Orden

Diesen Text schrieb Nils Minkmar über die Jury-Sitzung zur Verleihung des Reporterpreises 2009.



Als Hersteller von Öffentlichkeit beim Reporterpreis


Wie kürt man die Reportage des Jahres? Das "Reporter-Forum" hatte in diesem Jahr solch einen Preis ausgelobt und eine achtköpfige Jury ins Berliner Hotel de Rome geladen, um die Endauswahl vorzunehmen. Und weil aus vielen Jurysitzungen Ungutes über Absprachen, Verhandlungen mit sachfremden Argumenten und andere dunkle Machenschaften zu hören ist, sollten diesmal zwei Journalisten in der zweiten Reihe zuhören und gleichsam die Öffentlichkeit herstellen, außer mir saß also noch Herr Arntz von der "Süddeutschen" auf der Bank. Sagen durften wir nichts, aber wir schrieben fleißig mit.

Mit der Reportage komme das Leben ins Blatt, hatte Axel Hacke gleich zu Beginn geseufzt, es war seine Liebeserklärung an das Genre. Man darf bloß hoffen, dass er damit nicht sein Leben gemeint hat, denn das sieht, wenn man nur die Reportagen liest, in Deutschland so aus: morgens ein Mord, mittags eine Organtransplantation und abends noch schnell ins Krisengebiet. Im Reporterland ist es noch so wie von Wolf Wondratschek einst nostalgisch beschworen, da beginnt der Tag wirklich mit einer Schusswunde.

Claus Kleber bemerkte kritisch das Fehlen von Erfolgsgeschichten und dass das in Amerika sicher anders aussehen würde. In der Tat schätzen die Freunde des "New Yorker" dort ja gerade diese ellenlangen Stücke, von denen man gar nicht weiß, warum sie erscheinen und welche Botschaft sie uns auftragen, etwa jenen Bericht über einen, der Riesenkalmare auf allen sieben Weltmeeren jagt, oder darüber, wie kompliziert es ist, einen neuen Rasierer zu entwickeln.

Die deutsche Reportage funktioniert anders. Aber wie genau? Ist es statthaft, wie es Dirk Kurbjuweit vom "Spiegel" getan hat, den Politiker Mißfelder über einen langen Zeitraum zu begleiten und dann ein sehr entlarvendes, ja bloßstellendes Porträt zu schreiben, auch wenn die schrecklichsten Passagen darin die Zitate von Mißfelder selbst sind? Mehrere Jurymitglieder hatten da schwere moralische Bedenken. Einer sagte, was der Autor hier gemacht habe, sei "Verrat". Ein anderer pflichtete ihm bei: Wenn der Reporter böse schreibe, Mißfelder habe an einem Abend zwei Flaschen Wein zum Essen getrunken und überdies zugenommen, dann verschweige er doch, dass er als Reporter den Mann zum Essen und Trinken auch animiert habe. Und überhaupt sei es so komplex, das Verhältnis von Informant und Reporter: Während das leidende Subjekt sein Inneres offenbare, denke der Reporter bald bloß noch analytisch, und wenn es ganz schlimm komme, dann kriegt er einen Preis für das Leiden der anderen. Es war dann abermals Kleber, der daran erinnerte, dass es der Job von Journalisten sei, "Politiker mal in einem ungünstigen Licht dastehen zu lassen, insbesondere wenn nicht auszuschließen ist, dass sie später eine wichtige Rolle einnehmen" könnten. Der Reporterpreis sei "schließlich kein Mutter-Teresa-Orden".

Noch eine weiteres Kriterium war entscheidend: das Erzählerische. Viele wünschten sich, von einer Reportage "gepackt" zu werden, ja entführt, und zwar so, dass man darüber vergisst, eigentlich gar keine Zeit zum Lesen zu haben. Das alles erfüllt das Genre der Kriminalreportage und dort besonders zuverlässig die "Zeit"-Autorin Sabine Rückert, die darum schon viele Preise gewonnen hat. Aber bei dieser Reportage kam hinzu, dass genau der Punkt, der die Jury so beschäftigte, im Mittelpunkt stand. Es ging bei Rückerts "Todfreunden" um die Beziehung zwischen einem Ermittler und einem Massenmörder. Die begann, vor vielen Jahren, damit, dass der Ermittler den damals bloß eines Mordes Verdächtigen nett und menschlich behandelt hat, woraufhin der den ersten Mord gestand und weiter zu dem Polizisten sagte: "Morgen erzähle ich dir noch mehr. Auch von dem englischen Jungen. Und dann wirst du berühmt." Diese Übertragung von Wissen und dessen Verwandlung in Ruhm liegen auch dem Beruf des Reporters zugrunde, so wie ihn die Jury verstand.

Der Preis für den Text des Jahres, der übrigens nur die Hälfte des Preisgeldes der Reportage erhält, wurde geteilt vergeben: an einen "Zeit"-Essay von Wolfgang Uchatius über die Möglichkeit einer Welt ohne Wachstum und an eine Titelgeschichte des "Spiegel" zur Bankenkrise, die bereits den Henri-Nannen-Preis gewonnen hatte.

Auch viele der Juroren und Gründer des "Reporter-Forums" haben bereits den Nannen-Preis oder, wie er früher hieß, den Kisch-Preis gewonnen, und es wurde nicht ganz klar, worin nun das Neue am Reporterpreis gegenüber dem bereits bestehenden Nannen-Preis bestehen soll. Beide bevorzugen kosten- und zeitintensiv zu produzierende Texte, die sehr viel Platz beanspruchen, ein ganzer Bereich des deutschen Journalismus bleibt damit leider unberücksichtigt.



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Nils Minkmar


Nils Minkmar ist Redakteur im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung
Dokumente
"Kein Mutter-Teresa-Orden" (pdf)

erschienen in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ),
am 10.12.2009

 

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